Schlachtung
Es ist wie es ist, meine lieben Leser, aber, manchmal muss man ganz nah an die Wurzeln der Tradition, um zu verstehen, wie Mallorca wirklich lebt. Bevor Sie jetzt empört die vegane Mistgabel zücken: Nein, ich bin keine Metzgerin. Ich bin nur eine Sprachenlehrerin, die auf dieser Insel lebt, liebt, arbeitet und gelegentlich zwischen Sobrassada-Stapeln und salzigen Gesprächen steht, dort, wo das Schwein nicht nur Tier, sondern Teil des Jahreskreises ist.
Auf dieser wunderschönen Insel heißt es im November nicht nur „Windjacke raus“, sondern auch: „Wesen mit Ringelschwanz zur Wurst verarbeiten“. Matanza, die traditionelle Schlachtung, ist keine blutige Geheimzeremonie, sondern ein geselliges Großereignis mit Dorfklatsch, Kartoffelschälen und dem würzigen Duft von Holzfeuer. Ja, ich war dabei. Mehrmals. Freiwillig. Mit Schürze und Haltung. Zwischen dampfenden Töpfen und klappernden Messern entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das man nicht im Billigdiscounter kaufen kann. Wer einmal erlebt hat, wie aus einem Tier ein Fest wird, versteht, warum hier nicht nur gekocht, sondern auch erzählt, gelacht und geteilt wird.
Es beginnt früh, also mallorquinisch früh und eigentlich mitten in der Nacht, sprich: so gegen 07:00 Uhr. Das halbe Dorf versammelt sich, als ginge es um ein Champions-League-Finale mit Schnitzel. Der Star des Tages: ein rosanes Borstentier, das noch nichts ahnt, wohlgenährt, mit Auslauf, Bio-Futter und einem Leben, das viele Großstadtmenschen neidisch machen würde. Der Schlachter? Ein Mann mit ruhiger Hand und einem Werkzeug, das entweder Hammer heißt oder diskret summt, je nachdem, ob die Technik oder die Tradition den Ton angibt. Beide Varianten sind effektiv und Teile eines Rituals, das hier nicht mit Grausamkeit, sondern mit Respekt und Gemeinschaft verbunden ist.
Ein kurzer Moment der Stille. Vielleicht auch ein Hauch von Dankbarkeit. Dann folgt der gezielte Schlag und das Tier hängt kopfüber am Balken. Die Männer greifen routiniert zu den Seilen, als wären sie bei „Fleischlieferanten-Yoga für Fortgeschrittene“. Es wird gezappelt, gezurrt und geschnitten. Das Blut beginnt zu fließen, Eimer stehen bereit. Jeder Handgriff sitzt, jeder Blick ist konzentriert. Der Frito Mallorquín nimmt Gestalt an, noch nicht auf dem Teller, sondern mitten im Geschehen. Es riecht nach Stall und Novemberluft, doch schon bald nach Pfeffer und Einheit.
Der nächste Schritt, ist eine Mischung aus Bienenstock und Improvisationstheater. Jeder hat eine Aufgabe: Gedärme reinigen, die des Schlachttiers, nicht die eigenen, Fleisch durch den Reißwolf drehen, Schnitzel schneiden, Paprika schälen, Blut wegwischen. Die fleißigen Mallorquiner lachen, schnattern und analysieren nebenbei die andere Hälfte der Dorfbewohner. Wer mit wem, warum und wie oft, alles kommt auf den Tisch! Gegen Mittag auch das Essen.
Frito Mallorquín, das kulinarische Finale. Kartoffeln, Gemüse, Innereien. Frisch, warm, direkt vom Schwein. Guten Appetit!
Nach dem Festmahl werden die letzten Handgriffe durchgeführt und anschließend beginnt das große Aufräumen. Wenn alles erledigt ist und so aussieht, als ob nichts gewesen wäre, so gibt es Kaffee, Kuchen und selbstverständlich Fleischpakete für alle. Der Schlachter bekommt seinen Lohn, das größte Filet und verabschiedet sich mit dem Ernst eines Mannes, der weiß, was seine Hände können. Nach und nach gehen die restlichen Helfer auch nach Hause. Und nein, ich schäme mich nicht, dass ich dabei war. Ich erwähne es als mal, wenn das Thema zufällig aufkommt. Oder, wenn jemand fragt, warum ich so gut weiß, wie man Blut vom Fliesenboden und Asphalt entfernt.
Letzte Woche, nachdem ich meine Mädels zur Schule gebracht habe, bin ich kurz zu einer Runde Mütter hinübergeschlendert. Es ging um November, um Matanza, um Ferkel. Für die mallorquinischen Mamas ist es was ganz normales und gehört zu ihrem Leben dazu. Für eine ausländische Supermutter ist es ein Weltuntergang! Sie empörte sich lautstark über diese Tierquälerei und titulierte die Mallorquiner als Schande der Menschheit! Forderte, Fleisch nur im Supermarkt zu kaufen, da gibt es genug, also warum Schlachten? Ein sehr interessanter Gedankengang, nicht wahr, meine lieben Leser?
Ich dachte kurz darüber nach, ihr zu erklären, wie das Fleisch in den Supermarkt kommt. Aber dann… ließ ich es. Stattdessen sagte ich: „Oh, so spät schon? Ich muss dringend nach Hause und meine Schnitzel mit vier Beinen füttern.“ Ein Satz wie ein literarischer Nackenschlag. Ja, ich weiß, das war schweinisch. Aber manchmal muss man eben mit einem Satz mehr sagen als mit einem Vortrag.