Sylvester

Es ist wie es ist, meine lieben Leser, kaum hat man sich von dem ganzen Weihnachtsgedöns erholt, schon rollt die nächste Feierwelle an. Das neue Jahr steht vor der Tür, und die Frage schwebt im Raum wie ein überdimensionaler Sektkorken: Wo und mit wem stößt man auf die kommenden zwölf Monate an? Raten Sie mal, mit wem die Mallorquiner ins neue Jahr starten? Genau, Sie haben es erraten, die Familie ist wieder der Mittelpunkt des Inseluniversums.

Diesmal ist es nicht zwingend das Haus der Oberhäuptin, die sonst das Zepter schwingt, aufzusuchen. Die Feier kann überall stattfinden. Beliebt sind in den letzten Jahren Restaurants, angemietete Fincas oder gleich eine ganze Jugendherberge, falls die Familie so groß ist wie drei Fußballmannschaften. Gegen 20 Uhr trudeln alle ein, setzen sich an einen Tisch, der so reich gedeckt ist, dass er unter der Essenslast ächzt, wie ein alter Esel mit zu viel Gepäck.

Ein deutscher Fondueabend wirkt dagegen wie ein Diätseminar. Dort stochert man verzweifelt in winzigen Stückchen Fleisch, die aussehen, als hätten sie den Weg aus der Küche nur zufällig gefunden. Man pickt und pickt, bis die Uhr Mitternacht schlägt, und geht trotzdem hungrig nach Hause. Auf Mallorca dagegen droht der Tisch zu kollabieren. Garnelen sind Trumpf, gekocht, gebraten, aus dem Ofen, sogar in Varianten, die noch in keinem einzigen Rezeptbuch stehen.  Wer keine Garnelen mag, bekommt Sobrassada mit Olivenbrot, Schnitzel mit Kartoffeln und Alioli, Neujahressuppe und weitere Köstlichkeiten, die jeden Diätplan in Flammen setzen. Ich garantiere Ihnen, niemand bleibt hungrig. Der Nachtisch ist ein Kapitel für sich, ein süßes Finale, das selbst den Zuckerwürfel im Kaffee schneller auflösen lässt.

Kurz vor Mitternacht, gegen 23:30 Uhr, erscheint eine große Schüssel Trauben. Jeder füllt genau zwölf Stück in sein Glas. Die Jugendlichen werden unruhig, sie wollen los, hinaus ins Zentrum, auf den Marktplatz, wo die Party explodiert wie ein Feuerwerk aus Stimmen, Musik und Glockenschlägen. Dort warten die Menschen mit ihren Trauben, bereit für das Ritual. Bei jedem Glockenschlag eine Traube, dazu ein Wunsch. Zwölf Glockenschläge, zwölf Trauben, zwölf Wünsche. Der Volksmund sagt, sie gehen in Erfüllung. Gar nicht so einfach, sage ich Ihnen, die Trauben sind manchmal so groß, dass man sich fühlt wie ein Zirkusartist beim Schwertschlucken. Doch es ist machbar, und danach kennt die Freude keine Grenzen.

Die Stimmung kippt in Ekstase. Es wird gelacht, getanzt, gesungen, man umarmt Familienmitglieder, Freunde und sogar Fremde, die man nie zuvor gesehen hat. Das ist Magie, das ist Zauber, das ist ein Geböller, das selbst die Götter im Olymp neidisch machen würde. Wer ein Liebesleben anstrebt, sollte rote Unterwäsche tragen. So will es die Tradition. Angeblich bringt sie Leidenschaft, und wenn nicht, dann immerhin einen guten Gesprächsstoff am nächsten Morgen.

Meine lieben und wunderbaren Leser, bevor ich Sie in das neue Jahr entlasse, möchte ich Ihnen etwas mitgeben. Nehmen Sie die Leichtigkeit dieser Nacht mit, die Freude, die Musik, das Lachen. Bewahren Sie die Erinnerung an die Umarmung eines Fremden, der plötzlich wie ein alter Freund wirkt. Denken Sie daran, dass zwölf Trauben nicht nur ein Ritual sind, sondern ein Symbol für Hoffnung, für kleine Wünsche, die das Leben heller machen. Vergessen Sie nicht, dass ein neues Jahr nicht nur ein Kalenderblatt ist, sondern eine Einladung, mutig zu sein, neugierig zu bleiben und das eigene Leben mit Farbe zu füllen.

Vielleicht stolpern Sie im Januar über die ersten guten Vorsätze, die so schnell verschwinden wie die letzten Feuerwerksfunken. Vielleicht lachen Sie im Februar über die eigene Disziplin, die sich in Luft auflöst Salz im Meer. Vielleicht entdecken Sie im März eine neue Leidenschaft, die Sie so sehr überrascht wie ein unerwarteter Kuss. Das Jahr wird nicht perfekt sein, es wird nicht immer leicht sein, doch es wird voller Geschichten sein. Geschichten, die Sie erzählen, weitergeben, ausschmücken, so wie ich es hier tue.

Ich wünsche Ihnen einen Jahresbeginn voller Energie, voller Überraschungen und voller Momente, die Sie noch lange im Herzen tragen werden. Stoßen Sie an, tanzen Sie, genießen Sie, und wenn Sie dabei rote Unterwäsche tragen, dann tun Sie es mit Stolz. Das Leben ist zu kurz für langweilige Nächte und zu wertvoll für verschluckte Wünsche. Danke fürs Lesen!!!

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Weihnachten