Schleuderer
Es ist wie es ist, meine lieben Leser, aber, wenn man heute durch die friedlichen Olivenhaine Mallorcas spaziert, hört man höchstens das Zirpen der Grillen, das Klappern der Schlangen oder das leise Fluchen eines Radfahrers, der sich in der Mittagshitze überschätzt hat. Was man nicht hört: das sirrende Geräusch eines Steins, der mit tödlicher Präzision durch die Luft zischt. Und doch war genau das einst der Soundtrack dieser Insel.
Denn bevor hier Sonnenanbeter ihre Handtücher ausbreiteten, waren es Männer mit Schleudern, die die Welt in Atem hielten. Und mit „Schleudern“ meine ich nicht die Waschmaschine, sondern die uralte Kunst, einen Stein mit einer Schnur so präzise durch die Luft zu jagen, dass selbst römische Legionäre ins Grübeln kamen, ob deren Helme als Schutz wirklich ausreichten?
Die mallorquinischen Steinschleuderer, oder wie man sie in der Antike ehrfürchtig nannte: die „Foners Balears“, waren nicht einfach nur gefürchtet, nein, sie waren die antiken Sniper mit Sandalen. Ihre Präzision war so legendär, dass selbst gestandene Feldherren beim Klang eines fliegenden Steins nervös in Deckung gingen. Man setzte die tapferen Mallorquiner in Schlachten ein wie heute Laserpointer bei PowerPoint-Präsentationen: gezielt, effizient und mit einer gewissen Showwirkung, die den Gegner nicht nur beeindruckte, sondern auch nachhaltig irritierte.
Ihre Waffe war denkbar schlicht, eine Schnur, ein Stein, ein Arm, der nicht nur wusste, was er tat, sondern es mit einer Eleganz ausführte, die man sonst nur von Balletttänzern oder Chirurgen kennt. Kein Hightech, kein Bling-Bling, nur rohe Kraft und jahrhundertelange Übung. Und das funktionierte so gut, dass manche Generäle, die nach ihrem Siegeszug die Insel wieder verließen, sich ein paar Mallorquiner einfach mitnahmen. So als lebende Souvenirs und nach dem Motto: Gute Kämpfer kann man immer gebrauchen!
Die Ausbildung begann früh. Kinder lernten, ihr Frühstück mit der Schleuder vom Baum zu holen. Wer daneben zielte, blieb hungrig. Das ist nicht nur Pädagogik, das ist Survival-Training auf mallorquinische Art. Und wer heute glaubt, dass das übertrieben klingt, dem sei gesagt: Diese Männer konnten angeblich einen Helm vom Kopf schleudern, ohne den Kopf zu treffen. Das ist entweder höchste Präzision oder ein sehr höflicher Angriff.
Doch wie das so ist mit Ruhm und Ehre, irgendwann kommt der Moment, in dem man nicht mehr gebraucht wird. Die Schleuder wurde von anderen Waffen verdrängt, die Mallorquiner von Touristen. Und so wandelte sich die Insel vom Kriegsschauplatz zur Postkartenidylle. Aber die Schleuderer? Die gibt es noch. Nicht als Eliteeinheit, sondern als Vereinsmitglieder mit Leidenschaft und einem Hang zur Nostalgie.
Heute trifft man sie auf Wettbewerben, bei denen nicht mehr um Leben und Tod geschleudert wird, sondern um Punkte, Ehre und gelegentlich ein Glas Wein. Die Ziele sind Dosen, Holzscheiben oder einfach die Erinnerung an eine Zeit, in der ein Stein mehr war als nur ein Kiesel. Die Teilnehmer tragen oft traditionelle Kleidung, und man hat das Gefühl, dass gleich einem der Stein auf den eigenen Kopf fliegt, tut es aber nicht. Stattdessen gibt’s Pa amb Oli und Geschichten, die so lebendig sind wie die Schleuder selbst.
Mallorca hat sich verändert. Die Steinschleuderer sind keine Krieger mehr, sondern Bewahrer. Sie erinnern uns daran, dass diese Insel mehr ist als Strand und Hierbas. Also, meine lieben Leser: Wenn Sie das nächste Mal durch die mallorquinische Landschaft spazieren und einen Stein sehen, heben Sie ihn ruhig auf. Vielleicht liegt darin mehr Geschichte, als Sie denken. Und wenn Sie jemanden sehen, der mit einer Schnur und ernster Miene auf eine Dose zielt, dann bleiben Sie stehen. Sie könnten Zeuge eines Moments werden, in dem Vergangenheit und Gegenwart sich treffen.