Mittagessen
Es ist, wie es ist, meine lieben Leser, aber bis zu meinem ersten mallorquinischen Mittagessen hatte ich keine Ahnung, dass mein Magen ein Fassungsvermögen besitzt, das mit einem mittelgroßen Swimmingpool nach einem Starkregen konkurrieren könnte.
Diese erstaunliche Erkenntnis verdanke ich der großartigen Familie meines Mannes. Damals, frisch verliebt und völlig ahnungslos, was die kulinarischen Gepflogenheiten der Mallorquiner betrifft, nahm er mich mit zum großen Familientreffen. Dieser Festschmaus sollte die perfekte Gelegenheit sein, damit mich seine gesamte Verwandtschaft endlich kennenlernen konnte. Für mich war das die erste Lektion in echter mallorquinischer Gastfreundschaft und beeindruckenden Mengen an Essen.
Schon die Begrüßung war eine Herausforderung: Unzählige Küsschen rechts, Küsschen links, und das im Juni, einem Monat, in dem sich jeder normale Mensch langsam in einen tropischen Feuchtbiotop verwandelt. Aber gut, ich bin ja nicht zimperlich, und soweit ich weiß, ist noch niemand durch Fremdschweiß ernsthaft zu Schaden gekommen.
Kaum saß ich am Tisch, schon schob mir die liebe Tante Cati einen Teller mit Coca de Verduras unter die Nase. Ich griff beherzt zu und verputzte gleich zwei riesige Stücke, schließlich war noch genug da, und ich wollte nicht als unhöflich gelten. Was ich damals nicht wusste und niemand für nötig hielt, mir mitzuteilen: Es war lediglich die Vorspeise!
Mein Magen war bereits gut gefüllt, das kalte Wasser tat sein Übriges. Doch bevor ich mich in zufriedener Sattheit wiegen konnte, nahm das Mästen seinen Lauf. Nach einem Zuruf meiner zukünftigen Schwiegermutter, sprangen mehrere Tanten von ihren Plätzen auf und huschten in die Küche mit der Entschlossenheit eines perfekt orchestrierten Bienenstocks, in dem jede Arbeiterbiene genau weiß, was zu tun ist! Präzise, eingespielt und mit einer beeindruckenden Schnelligkeit. Wenig später standen riesige Suppenschüsseln auf dem Tisch. Arroz Brut, also Suppe mit Reis, eine durchaus harmlose Speise, dachte ich. Doch dann kam Tante Antonia und platzierte mit einem triumphierenden Lächeln einen vollen Teller vor mir: „Nach unserem Geheimrezept zubereitet! Die Schnecken verleihen ein ganz besonderes Aroma!“ Schnecken, meine lieben Leser, Schnecken!
Ich lächelte tapfer, während ich die Suppe mit sehr viel Aioli und noch mehr Wasser herunterspülte und hoffte, dass nun alles vorbei sei. Tja, Pusteblume, falsch gedacht! Eher ich mit der Wimper zuckte, landete schon wieder ein voller Teller vor mir. Dieses Mal war es Tante Francisca, die mir mit glänzenden Augen ein Frito Mallorquín servierte. Pappsatt, jedoch neugierig, stocherte ich auf meinem Teller herum. Kartoffeln? Lecker. Erbsen? Wunderbar. Fleischstücke? Sieht gut aus. Doch dann entdeckte ich Zutaten, die mein Gehirn schlicht nicht zuordnen konnte. Ganz diskret, also eigentlich flüsternd, fragte ich meinen Mallorquiner, um welche Bestandteile es sich denn handle. Die Antwort kam weniger diskret und überhaupt nicht flüsternd: „Uep, das sind Innereien vom Schwein! Von der Schlachtung auf Tante Xiscas Finca im Herbst! Eingefroren und nun für den heutigen Anlass serviert!“ Innereien, meine lieben Leser, Innereien!
Ich spürte, wie die Schweißperlen meinen Rücken hinunterliefen, während sich sämtliche Augen des Clans auf mich richteten. Mit Disziplin und eiserner Selbstbeherrschung wurde auch dieser Teller leer. Sehr zur Freude der Familie! Mit Worten und wildem Gestikulieren, versuchte ich klarzumachen, dass ich nun wirklich nicht mehr kann! Doch Onkel Miguel sah das anders. „Nachtisch! Du musst unbedingt alle probieren, sind selbst gebacken!“ Auf meinem Teller befand sich ein Stück Ensaimada, ein Stück Gató und ein Stück Coca d’Albercoc. Drei Stücke, meine lieben Leser, drei!
Das Dessert bedeutet eigentlich immer das Ende einer Schlemmerei. Ja, ja, wahrscheinlich überall auf der Welt, nur nicht auf Mallorca! Ich dachte, ich habe mich verhört, als Oma Maria fragte, ob ich noch einen Kaffee und ein Eis möchte. Ich lächelte tapfer und sagte: „ Nein! Danke, aber wenn ich jetzt noch ein Eis esse, dann ist mein Bauch größer als die Insel!“ Die Großmutter lachte und ich war wohl nicht überzeugend genug. Wie durch Zauberhand stand vor mir ein Becher mit zwei Kugeln Eis, ein Kaffee, ein Hierbas und als wäre das das normalste der Welt, hat sie mir noch einen Löffel in die Hand gedrückt. Zwei Kugeln, meine lieben Leser, zwei!
Inzwischen sind viele Jahre und noch mehr Mittagessen mit dem mallorquinischen Clan vergangen. Ich habe gelernt, dass bei mallorquinischen Familienessen zwei unumstößliche Gesetze gelten. Erstens: Ein „Nein, danke“ wird nicht als höfliche Absage verstanden, sondern als motivierende Herausforderung, noch mehr Essen auf den Teller zu laden. Zweitens: Widerstand ist zwecklos! Merken Sie sich das, meine lieben Leser, merken Sie sich das!