Ziege
Es ist wie es ist, meine lieben Leser, aber auf Mallorca geschehen manchmal Ereignisse, die so unglaublich sind, dass selbst ein erfahrener Inselbewohner sich erst einmal einen Hierbas genehmigen müsste, um das Ganze zu verarbeiten. Deswegen glauben manche Mallorquiner an Engel, an heilige Jungfrauen, an glückliche Zufälle und ich glaube an Ziegen mit göttlichem Timing.
Nachdem es die ganze Nacht geregnet hatte, zeigte sich an diesem Morgen die Insel von ihrer schönsten Seite. Die Sonne strahlte wie ein frisch poliertes Sangria-Glas, das Meer funkelte, als hätte es sich extra für die Touristen herausgeputzt, und ich war unterwegs zu einem Interview mit einem Priester. Ja, ja, ich habe früher für eine renommierte deutsche Zeitung geschrieben und hatte sogar meine eigene Klosterserie. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Gemütlich fuhr ich mit meinem Auto eine Serpentinenstraße hoch, umgeben von nichts als Natur und einem atemberaubenden Blick auf das Meer. Immer weiter, immer höher, immer näher zum Kloster! Keine Menschenseele weit und breit, keine Touristen, keine Fahrradfahrer. Ein seltenes Geschenk! Ich genoss dieses Gefühl, als hätte mir die Insel persönlich einen VIP-Bereich reserviert. Doch Mallorca wäre nicht Mallorca, wenn das Paradies einfach ungestört bleiben würde.
Plötzlich tauchte sie auf! Eine Ziege! Einfach so, mitten auf der Straße. Nicht irgendeine Ziege, sondern eine mit der majestätischen Aura einer Herrscherin, die gerade ihr Königreich inspiziert. Sie sah mich an mit der ruhigen Selbstsicherheit einer erfahrenen Bergbewohnerin, die in ihrem Leben schon genug Autos zum Stillstand gebracht hat, um genau zu wissen, dass am Ende immer sie gewinnt.
Ich machte eine Vollbremsung. Hupte. Höflich, respektvoll. Keine Reaktion. Ich hupte ein zweites Mal. Ein genervtes Meckern kam zurück. Offiziell war ich nun in einen verbalen Schlagabtausch mit einer Ziege geraten.
Dann erschien aus dem Nichts ein älterer Mallorquiner, der das Spektakel mit der Gelassenheit eines Mannes betrachtete, der solche Szenen regelmäßig erlebt. Er lächelte und sagte mit einer Weisheit, die einem nur jahrelange Erfahrung mit störrischen Tieren verleihen kann: "Señorita, no discuta con la cabra. Ella siempre gana." (Fräulein, diskutieren Sie nicht mit der Ziege. Sie gewinnt immer).
Ohne Hast griff er in seine Hosentasche, zog ein Stück Brot heraus und hielt es der Königin der Straße hin. Sie würdigte mich keines Blickes mehr, nahm sich das Brot mit der Lässigkeit einer Diva, die gerade ihre Lieblingsvorspeise serviert bekommen hat, und trottete unbeeindruckt davon. Ich setzte meine Fahrt endlich fort, nun unter Zeitdruck und leicht frustriert darüber, dass mein sorgfältig geplanter Ablauf von einer Ziege sabotiert wurde! Einer Ziege! Pah…..
Das Interview verlief fantastisch. Ich war voller Inspirationen, hatte großartige Fotos gemacht und eine Fülle neuer Ideen im Kopf. Mit bester Laune machte ich mich auf den Rückweg und sauste die Serpentinen hinab, als würde mich eine Welle purer Euphorie tragen.
Doch kaum hatte ich mich innerlich für den perfekten Tag bedankt, sah ich sie wieder. Die Ziege war zurück! Wieder stand sie mitten auf der engen Fahrbahn, wieder musste ich eine Vollbremsung hinlegen, um sie nicht zu gefährden. Doch in diesem Moment geschah etwas, das meine Sicht auf das ganze Geschehen für immer veränderte.
Kaum war mein Auto zum Stillstand gekommen, löste sich plötzlich ein großer Stein aus dem Hang, rollte gemächlich die Böschung hinunter und landete mit einem dumpfen Schlag auf der rechten Fahrbahnspur! Genau dort, wo mein Wagen in voller Fahrt gewesen wäre, wenn die Ziege mich nicht zum Anhalten gezwungen hätte. Mein Herz raste, meine Hände zitterten. Ich hatte gerade live mit angesehen, wie mich ein Felsbrocken fast erledigt hätte!
Die Ziege stand immer noch da, völlig unbeeindruckt von dem Krach, den der herunterrollende Steinklotz verursacht hatte. Sie sah mich kurz an, mit genau jenem Blick, den nur ein wohlwollendes Tier besitzen kann. Ein Blick, der sagte: „Na, wer hat jetzt gewonnen?“