Märchen
Es ist wie es ist, meine lieben Leser, aber Mallorca ist nicht nur ein Paradies für Sonnenanbeter, Sandburgenarchitekten und Flipflop-Flaneure, nein, diese Insel ist ein brodelnder Kessel voller Geschichten, Mythen und Legenden, in dem jede Finca einen Drachen beherbergen könnte und jeder Hügel von einem Riesen hin gekleckert worden sein mag.
Denn wer glaubt, Mallorca bestehe nur aus Mandeln, Oliven und Ziegen mit Hang zur Dramaturgie, der kennt die anderen Seiten nicht! Die sagenhaften Seiten! Und ich meine das wortwörtlich!
Ungefähr 400 Geschichten kursieren auf der Insel, fast so viele wie Oliven auf einem gut belegten Trampó. Kein Mallorquiner weiß, ob sie wahr sind, aber das ist nun mal das Wesen der Legende: Beweise sind überbewertet und außerdem, man soll doch Spaß an diesen historischen Märchen haben, nicht wahr?
Der Randa-Berg, ein Erdrutsch der Gigantenklasse! Die Geschichte vom Randa-Hügel klingt, als hätte ein betrunkener Märchenerzähler sie während eines Festes in Sineu zwischen Sobrasada und Hierbas zusammenfantasiert. Da segelt doch tatsächlich ein Riese, wohlgemerkt mit jedem Bein auf einem eigenen Schiff, von Nordafrika gen Mallorca. In einem Korb bringt er Erde mit, vermutlich für seinen privaten Gartenbau. Als er bei Cabrera das Gleichgewicht verliert, kann ja eigentlich jedem passieren, nach vielen Tapas und noch mehr Wein, purzelt die Erde aus dem Korb und schwups, so entstand der Klosterberg!
Der Wanderstock, den der Riese ebenfalls bei sich trug, bohrt sich in die Erde und schafft den Brunnen bei Cala Pi. Seine riesigen Tränen, offenbar reichlich salzhaltig und emotional schwer beladen, speisen bis heute die Quelle Font de la Vila.
Die schöne Frau vom Lluc, ein skandalträchtiges Drama im Gebirge! Eine Geschichte so romantisch wie ein Sonnenuntergang über dem Torrent de Pareis, aber mit dem emotionalen Wumms einer Seifenoper beim Dorffest. Das wunderschöne Weib wird, nicht besonders galant, von ihrem eifersüchtigen Mann einen Abhang hinuntergestoßen. Das ist übrigens nach wie vor Mallorcas Version von Beziehungsberatung. Aber: In Lluc angekommen und reumütig wie ein Hund mit zerfetzten Pantoffeln, betet der Mann zur Jungfrau Maria.
Und was passiert? Die Frau überlebt! Und verzeiht! Engel retten sie, wie in einer Novelle, bei der man sicher ist, dass der Schreiber vorher zu tief ins Weinglas geschaut hat. Aber hey, vergeben will gelernt sein und auf Mallorca geschieht sogar das mit Stil und übersinnlicher Unterstützung.
Der Drache von Palma oder, wenn die Liebe durch den Untergrund geht! Es gibt keine gute mallorquinische Sage ohne ein ordentliches Monster, das weiß jedes mallorquinische Kind, das schon mal mit Großvater im Schatten einer jahrhundertealten Olivenpresse gesessen hat. Ein Drache haust also im Untergrund von Palma, vermutlich unter der Bäckerei, die besonders gute Ensaimadas macht. Der Edelmann Bartomeu Coch, offensichtlich einer, der seine Abenteuerlust nicht im Weinkeller verstauben ließ, zieht dem Ungeheuer eins über, nur um es seiner Angebeteten als Liebesbeweis zu präsentieren. So nach dem Motto: Schmuck? Blumen? Nein, mein Herzblatt! Hier ist dein Drache, frisch erledigt und noch warm. Wer sagt da noch, Romantik gab es früher nicht?
Die mallorquinischen Legenden sind wie ein guter Tumbet: bunt, geschichtet, manchmal überraschend und immer ein bisschen übertrieben. Und Sie werden staunen, meine lieben Leser, aber jeder Erzähler dieser historischen Ereignisse hat seine eigene Version, genauso wie jede Familie ihr eigenes Rezept für das Tumbet hat. Und genau das macht die Ammenmärchen so wunderbar und einzigartig. Sie sind der Herzschlag unter den Mandelbäumen, das Flüstern zwischen Trockenmauern, und ganz sicher der Grund, warum man auf dieser Insel nie weiß, ob das Rascheln im Gebüsch eine Eidechse ist oder der letzte lebende Riese auf Schatzsuche.